Ein Leben in den Bäumen

Das Leben des Eichhörnchens ist an Bäume gebunden. Bescheiden wie es ist, passt es sich sowohl Bergwäldern wie auch an Wäldern in tiefen Lagen an. Das Vorkommen von großen fruchttragenden Bäumen bietet ihm Nahrungsgrundlage und Platz für seine Nester, auch «Kobel» genannt.

Die Zusammensetzung der Vegetationsdecke spielt eine wichtige Rolle: Mischwälder bieten eine abwechslungsreichere und stabilere Nahrungsgrundlage als Fichten-Monokulturen, welche nicht jährlich Früchte tragen. 

Für das Eichhörnchen ist das Alter der Bäume wichtiger als die artliche Zusammensetzung, da es auf Baumsamenkörner angewiesen ist, die erst von einem gewissen Alter der Bäume an produziert werden. Kiefern tragen als früheste unter den Koniferen schon nach 20 Jahren Zapfen. Buchen bilden erst nach 80 Jahren Samen.

 

Außerdem wechselt die Samenbildung von Jahr zu Jahr. Eichhörnchen können sich nur dort ständig halten, wo die Samenbildung aufgrund der Zusammensetzung der Baumbestände nach Art und Alter nie völlig versiegt. Die Nahrung der Eichhörnchen besteht aus Samen, Trieben und Knospen von Nadelbäumen, jedoch auch Beeren, Pilzen und den Blüten verschiedener Laub- und Nadelbäume sowie Blumen. Im Winter bilden Fichtenknospen die Hauptnahrung. Trotzdem haben Fichtenwälder auch Vorteile: Wenn sie Bäume unterschiedlichen Alters beinhalten, bieten sie neben Nahrung auch einen guten Schutz gegen Wind und Unwetter. Obwohl man die possierlichen Tierchen noch überall in den Wäldern zu Gesicht bekommt, sieht ihre Zukunft nicht rosig aus. Ihre bevorzugte Waldheimat wird ständig kleiner und gleichförmiger.

Eichhörnchen sind die Feinde der Fichten. Sie fressen ihre Samen und minimieren so den Fortpflanzungserfolg der Nadelbäume. Daher haben die Bäume eine Gegenstrategie entwickelt: Alle paar Jahre produzieren sie eine besonders große Menge an Samen, in den Jahre dazwischen gibt es dafür weniger. Damit überlisten sie ihre Räuber, denn Tiere können sich nur fortpflanzen, wenn für sie und ihren Nachwuchs genügend Futter vorhanden ist. Durch die Hungerjahre halten die Bäume die Anzahl der Samenfresser gering, damit während der einmaligen Überschussproduktion genug Samen für ihre Fortpflanzung übrigbleiben.  

Die Eichhörnchen vereiteln jedoch diese Pläne häufig, wie Boutin und seine Kollegen nun herausgefunden haben. Über zwanzig Jahre lang verfolgten die Wissenschaftler in Kanada, Italien und Belgien das Spiel zwischen Eichhörnchen und ihren Futterbäumen und entdeckten Unerwartetes: Irgendwie können die roten Nager die nächste große Ernte voraussehen und zeugen mehr Nachwuchs, rechtzeitig zum üppigen Festmahl im kommenden Herbst. Die Kinder erst im nächsten Jahr als Antwort auf den Boom zu bekommen, wäre hingegen nicht sinnvoll, denn dann gäbe es für Eltern und Nachwuchs wieder nicht genug zu fressen, erklären die Forscher.

"Es ist, als würden die Eichhörnchen eine sehr erfolgreiche Strategie an der Börse verfolgen", vergleicht Boutin. "Während es auf dem Markt noch schlecht aussieht, investieren sie viel, nämlich ihren eigenen Nachwuchs, heimsen aber hohe Dividenden ein, wenn der Markt wieder steigt".

Über die Frage, woher die Tiere schon im Voraus wissen, wie viel Futter sie zu erwarten haben, können die Wissenschaftler nur spekulieren. Sie vermuten aber, dass die Eichhörnchen durch die Knospen der Bäume, die sie im Sommer fressen, auf die zu erwartenden Ernte schließen können.


                                                                                                                                                                                                                                                        In den letzten 10 bis 20 Jahren wurde allerdings beobachtet, dass sich die Frequenz der Mastjahre deutlich erhöht hat, so dass sogar drei Mastjahre hintereinander vorkamen. Botaniker vermuten eine Stressreaktion der Bäume auf äußere negative Umwelteinflüsse wie z. B. den sauren Regen. Möglicherweise wollen die kränkelnden Bäume wenigstens für ausreichenden Nachwuchs sorgen. Dass sie dabei in die Gefahr geraten, zusätzlich geschwächt zu werden, liegt auf der Hand. Und außerdem haben Samenfressende oder -schädigende Arten größere Chancen, sich zu vermehren.